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(Un)klare (An)forderungen an Prüfungen

(Un)klare (An)forderungen an Prüfungen

Eine Studentin, nennen wir sie Magda, belegte einmal ein Seminar bei einem Dozenten, der für einen Lehrauftrag an die Uni gekommen war. Der Dozent war zwar im Bildungsbereich beschäftigt, hatte aber mit Lehramt nicht viel am Hut. Insofern war das Seminarthema ein wenig „off topic“, aber nichtsdestotrotz recht interessant. Magda schrieb, nennen wir ihn einmal Herrn Albrecht, bei Herrn Albrecht eine Hausarbeit als Prüfungsleistung. Verzweifelte StudentinNach ein paar Wochen bekam sie eine Mail von ihm, in der er ihr mitteilte, dass sie die Arbeit überarbeiten müsse oder er sie durchfallen lassen würde. Ein Schock! So etwas war ihr bis dato noch nie passiert! Hätte sie doch bloß kein Seminar gewählt, zu dem sie so gar keine Vorkenntnisse hatte! Das hatte sie nun davon. Natürlich bat sie den Dozenten um ein persönliches Gespräch, um zu erfahren, wo die Mängel lagen und wie diese ausgebessert werden könnten. Im Gespräch kristallisierte sich heraus, dass Magda einen bestimmten Begriff, der laut Aussage des Dozenten eng verknüpft mit dem Prüfungsthema war, nicht aufgegriffen und definiert hätte. Sie fragte mehrmals nach, was Herr Albrecht damit meinte, denn sie war sich nicht sicher, ob es hier tatsächlich nur um einen einzelnen Begriff und seine Definition ging. Herr Albrecht bejahte dies aber. Dieser Begriff müsse unbedingt noch in die Arbeit! Etwas perplex machte Magda sich also an die Überarbeitung, welche daraus bestand, den entsprechenden Terminus in den Theorieteil aufzunehmen und ihn zu definieren. Nach einer Viertelseite hatte sie bereits das Gefühl, dass eigentlich schon alles gesagt sei, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass das genug wäre, um nicht doch noch durchzufallen. Also schrieb sie ein bisschen mehr und reichte die Arbeit dann erneut ein; nicht wirklich überzeugt, dass die ganze Sache noch zu retten sei. Nach kurzer Zeit erschien in Magdas Campus Office die Note sehr gut für ebendiese Prüfungsleistung. Erneut war sie perplex. Die Freude setzte erst später ein.

Diese kleine Anekdote, die im Übrigen tatsächlich so passiert ist, macht etwas deutlich, was auch ich im Rahmen der Fachstudienberatung regelmäßig von Studierenden zugetragen bekomme: Anforderungen an Prüfungsleistungen sind häufig nicht transparent. Die Bewertung erscheint aus Sicht der Studierenden dann willkürlich (und ist sie wie im beschriebenen Beispiel vielleicht auch).

Transparent und objektiv evaluieren

Für Dozierende genauso wichtig wie für Studierende ist also eine Bewertungsgrundlage. Ein Evaluationsraster mit möglichst objektiven Bewertungskriterien hilft nicht nur Lehrenden bei der Notenfindung, sondern auch Studierenden, das Zustandekommen einer Abschlussnote nachzuvollziehen.

Interessanterweise berichten Studierende (auch höherer Semester), die in meine Sprechstunde kommen, um ihre Abschlussarbeiten zu besprechen, sehr oft, dass sie noch nie ein Gutachten zu einer Prüfungsleistung oder Qualifikationsarbeit zu sehen bekommen hätten. Einig sind sie sich alle jedoch darüber, dass ihnen eine detaillierte Besprechung des Gutachtens sehr zugute kommt, um Defizite zu erkennen und sich in kommenden Prüfungen zu verbessern. Ich habe sehr früh in meiner Tätigkeit als Hochschullehrende begonnen, Studierenden noch vor der Anfertigung einer Hausarbeit (oder anderer Prüfungsleistungen) das Bewertungsraster zu präsentieren, zu erklären oder gemeinsam mit ihnen zu erarbeiten[1]Wenn Sie mehr hierzu erfahren möchten, schauen Sie sich doch einmal den Blogeintrag „Prüfungsformat Erklärvideo“ an.. Insbesondere die Betonung darauf, welche Teile mehr oder weniger stark gewichtet werden, hat, so mein subjektives Empfinden, insgesamt zu besseren Leistungen insgesamt geführt.

Ich erinnere mich, dass die ersten Hausarbeiten, die mir eingereicht worden sind, allesamt keinen angemessenen Schlussteil aufwiesen. Die Studierenden beschränkten sich auf eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse. Punkt. Abgabe. Kritische Reflexion der eigenen Ergebnisse, ein sachlich angemessenes Fazit, Forschungsdesiderata? Fehlanzeige.

Dabei war und ist mir gerade dies, die kritische Reflexion der eigenen Ergebnisse und ein Blick über den Tellerrand sehr wichtig. Aber auch noch heute reagieren Studierende überrascht, wenn ich ihnen genau dazu rate.

Kritische Reflexion erfordert Mut

Es herrscht die Annahme, dass eine kritische Reflexion ein „Schlechtmachen“ der eigenen Ergebnisse und ein Untergraben der eigenen Kompetenz darstelle. Erst die Thematisierung dieser Diskrepanz zwischen Vorannahme und Anforderung führt bei den Lernenden zu einem Verständnis. Und inzwischen auch zu sehr gelungenen Schlussteilen in Hausarbeiten…

Ähnlich verhält es sich mit der kritischen Stellungnahme zu fremden Ideen. Studierende wagen es häufig nicht, fremde Thesen (von vermeintlichen Expert*innen) in Frage zu stellen oder gar zu kritisieren. Eher führen sie das negative Bauchgefühl, das so manche Argumentation oder Aussage in ihnen auslöst, darauf zurück, dass ihnen die Fähigkeit fehle, zu verstehen, was der*die Autor*in denn wirklich meine. Auch hier ist es m.E. wichtig, Studierende zu ermutigen, (sachliche) Kritik zu üben oder zumindest kritische Fragen zu stellen.

Die kritische Reflexion fremder und eigener Resultate und Thesen sowie ein thinking beyond the box sind für mich das i-Tüpfelchen, das aus einer sehr guten eine hervorragende Arbeit macht. Und genau dies kommuniziere ich meinen Studierenden. Am Ende freuen wir uns alle: Die Studierenden über bessere Noten und ich über bessere Ergebnisse. Und letztlich ist es doch genau das, zu dem uns das Studium befähigen soll, nämlich Pro und Kontra abzuwägen, (sich selbst und andere) kritisch zu hinterfragen und den Lernprozess nie als abgeschlossen anzusehen.

References
1 Wenn Sie mehr hierzu erfahren möchten, schauen Sie sich doch einmal den Blogeintrag „Prüfungsformat Erklärvideo“ an.
Von Jennifer Wengler

Jennifer Wengler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Romanischen Seminar der Leibniz Universität Hannover und Autorin von Unterrichtsmaterialien (z.B. für das Lehrwerk ¿Qué pasa? Nueva Edición) und populärwissenschaftlichen Fernseh- und Radiobeiträgen.

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