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Warum sind lange Videokonferenzen so ermüdend? Die Zoom Fatigue

Warum sind lange Videokonferenzen so ermüdend? Die Zoom Fatigue

Die Müdigkeit, sie kommt ...

Am letzten Wochenende hatte ich einen anderthalbtägigen Online-Workshop über Zoom. Obgleich das Thema spannend war und der Dozent sehr aktivierend gearbeitet hat, merkte ich nach ein paar Stunden bleierne Müdigkeit. Nach drei Corona-Semestern kenne ich dieses Phänomen bereits: Irgendwann schwindet die Konzentration, die Augen werden schwer, der Kopf schaltet ab. Oft hatte ich mich gefragt, woran dies wohl liegen möge. Klar, auch lange Tage auf Konferenzen und in Vorträgen ermüden. Die Konzentration unterliegt zudem circadianen Schwankungen. Aber nach stundenlangen Videokonferenzen fühle ich mich in der Regel noch erschlagener.

Einige Thesen hatte ich bereits aufgestellt: Mangelnde Bewegung in den Pausen, wenig frische Luft im Homeoffice, verkrampfte Fehlhaltungen vor dem Laptop und damit zusammenhängende Rückenschmerzen, die ständige Akkommodation auf Objekte in unmittelbarer Gesichtsnähe, Aufmerksamkeitsdefizite durch Multitasking (z. B. durch eingehende Push-up-Benachrichtigungen).

Einige der genannten Thesen stellte ich schnell infrage: Weder kurze Bewegungseinheiten oder Spaziergänge in den Pausen noch vermehrtes Lüften, weder ununterbrochene Nutzung des Stehschreibtischs noch das Abschalten von allen Ablenkungsquellen änderten etwas an der Schläfrigkeit nach ein paar Stunden in WebEx und Co.  

Zoom Fatigue ist keine Einbildung

Dieses subjektiv festgestellte Phänomen wurde nun wissenschaftlich untersucht: Es nennt sich Zoom Fatigue. Die sogenannte Zoom Fatigue geht mit einer visuellen, sozialen, motivationalen und emotionalen Ermüdung einher (Fauville et al. 2021). Vier mögliche Gründe führen laut Bailenson (2021) zur Zoom Fatigue:

  1. Der Aufnahmeradius der Kamera lässt nur eine eingeschränkte körperliche Mobilität zu.

Während man in Real-live-Besprechungen die Sitzposition auch einmal in der Diagonalen variieren kann, tendiert man vor der Webcam dazu, den Oberkörper zu versteifen. Selbst das Auf-der-Stelle-Treten am Stehschreibtisch ändert wenig daran.

  1. Der erzwungene, dauerhafte Blickkontakt und die subjektiv empfundene Überschreitung der persönlichen Distanz führen zu einer physiologischen Erregung und einem Unwohlsein.

Wann sind in einem Real-live-Meeting jemals alle Augen auf eine Person gerichtet? Eigentlich nur, wenn sie spricht. In Zoom und Co sieht dies anders aus. Dort sind alle Augen ständig auf jeden gerichtet, man fühlt sich ohne Pause angestarrt. Dies führt zu Erregungszuständen und womöglich zu Stress.

  1. Videokonferenzen zeichnen sich durch eine hohe Bandbreite an technischen und kommunikativen Aspekten aus, die die Aufmerksamkeit binden, was wiederum die kognitive Belastung erhöht.

Multitasking lässt sich eindämmen, Push-up-Benachrichtungen lassen sich abschalten. Nichtsdestotrotz verlangt das Videokonferenztool selbst schon eine gehörige Portion Aufmerksamkeit. Man blickt in x Gesichter gleichzeitig, hört zu, achtet nebenbei auf den Chat und womöglich auf das Teilnehmendenfenster, betrachtet eine Präsentation. Bevor man spricht, muss das Mikrofon eingeschaltet und vor dem Naseschnäuzen kontrolliert werden, ob es wirklich aus ist. Hinzu kommen technische Probleme und das obligatorische „Du hast dein Mikrofon aus“ oder „Das hat man jetzt nicht gehört, deine Verbindung war weg“. All dies strengt an und bindet Aufmerksamkeit.

  1. Durch die Perzeption des eigenen Kamerabildes findet eine ständige Selbstbewertung statt, die das Stressempfinden steigert.

Bin ich gut ausgeleuchtet? Nimmt die Kamera auch nicht aus Froschperspektive aus? Sieht man das unordentliche Büro im Hintergrund? Während man bei Real-life-Vorträgen und -Meetings in der Regel ein paar Meter Abstand zwischen sich und anderen hat, fängt uns die Kamera in Nah- oder sogar Großaufnahme ein und dies womöglich in HD. Kein weißes Haar, kein Pickelchen, kein Zucken bleibt unbemerkt, so womöglich die (unterbewusste) Befürchtung. Und sich selbst bewertet man ohnehin stets kritischer als andere. Auch das kann stressen. Stress raubt Kraft. Es folgt die Müdigkeit…

Konsequenzen

Was macht man nun aus diesem Wissen? Online-Meetings reduzieren oder verkürzen kann eine Lösung sein, reine Input-Phasen auslagern und die Videokonferenzzeit für Diskussionen nutzen, aber auch sich selbst und anderen erlauben, die Kamera für eine Weile abzustellen.  

Denn eines ist sicher: Videokonferenzen geben uns die Möglichkeit, mobil und flexibel von überall zusammenzukommen, sparen uns Fahrtzeiten und Reisekosten, schonen u. U. so natürliche Ressourcen und vereinfachen die Kommunikation. Technische Probleme und schwache Bandbreiten werden irgendwann behoben, medienpsychologische Erkenntnisse in das Design von Videokonferenztools eingeflossen und Gewöhnungseffekte bei uns Menschen eingetreten sein. Videokonferenzen sind je nach Einsatzbereich und Ziel eine sinnvolle Ergänzung zu Treffen in Präsenz und nicht mehr wegzudenken.

Bibliographie

Bailenson, Jeremy N. (2021): Nonverbal overload: A theoretical argument for the causes of Zoom fatigue. In: Technology, Mind, and Behavior 2 (1).

Fauville, Geraldine; Luo, Mufan; Queiroz, Anna C. M.; Bailenson, Jeremy N.; Hancock, Jeff (2021): Zoom Exhaustion & Fatigue Scale. In: SSRN Electronic Journal.

Von Jennifer Wengler

Jennifer Wengler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Romanischen Seminar der Leibniz Universität Hannover und Autorin von Unterrichtsmaterialien (z.B. für das Lehrwerk ¿Qué pasa? Nueva Edición) und populärwissenschaftlichen Fernseh- und Radiobeiträgen.

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